Imperative begleiten uns unser Leben lang und entfalten gerade im Kindes- und Jugendalter eine starke Wirkung. „Streng dich in der Schule an, damit du später mal die Wahl hast!“ Dieser Appell ist sicher nur den Wenigsten erspart geblieben. Und er ist ohne Zweifel gut gemeint. Die Förderung und die damit verbundenen Wahlmöglichkeiten sind für Heranwachsende jedoch grundsätzlich ambivalente Erscheinungen. Sie können, aber sie müssen auch wählen. Sie können falsch oder richtig entscheiden und alles Kommende mit Vorfreude oder Zukunftsangst wahrnehmen. Und auch die beteiligten Erwachsenen bewegen sich stets auf einem Grat zwischen Förderung und Überforderung, zwischen Hilfestellung und Zwang.
Mit all diesen Ambivalenzen spielt der Kurzfilm PERFECTION (2004), in welchem ein Kinderspiel dem Lebensweg der Protagonistin den Takt vorgibt.
Der vorliegende Kurzfilm enthält eine ganze Reihe von Imperativen. Im Vordergrund steht zunächst die Bewältigung des Lernspiels Perfection. Der sprichwörtliche Ernst des Lebens wird verdeutlicht, wenn es daran anschließend um die Leistungen in Geigenwettbewerben, in Schule und Beruf geht. Aber auch die Optimierung des Aussehens und die Frage nach Beziehung werden am Ende thematisiert.
Eindrücklich ist, dass kein einziges Wort fällt. Über die ganze Länge des Films entfaltet sich eine fast beengende Dynamik, welche sich durch verschiedene Taktgeber und die Art der Bildfolge immer mehr zuspitzt, bis sie schließlich vom Herzschlag der Hauptfigur und einem einzigen tiefen Atemzug abgelöst wird und das Streben nach Perfektion durch das Anhalten des Kinderspiels in unvollendetem Zustand ein Ende findet.
Kernkompetenz: Den eigenen Glauben und die eigenen Erfahrungen wahrnehmen und zum Ausdruck bringen sowie vor dem Hintergrund christlicher und anderer religiöser Deutungen reflektieren.
Jahrgang: 8 – 12
Arbeitsformen: kreatives Schreiben und Gestalten, Textcollage, Positionierung, Bibelarbeit, Filmanalyse
Methodisches Vorgehen
Einstieg
Grundsätzlich kann mit dem Film in die Arbeitsphase eingestiegen werden. Eine Variante wäre, vorher mit den Schülerinnen und Schülern (SuS) die Frage der Berufswahl zu thematisieren.
- Erfahrungsaustausch im Unterrichtsgespräch zur allseits bekannten Frage:
„Was willst du später eigentlich einmal werden?“
- Positionierung – An dieser Stelle können verschiedene Methoden zur Positionierung eingesetzt werden, etwa das Aufstellen im Raum auf einer gedachten Positionslinie oder die individuelle Markierung einer solchen Linie an der Tafel.
Die SuS sollen sich jeweils positionieren und ihre Position begründen und zwar bezogen darauf, mit welchem der Gegenpole sie Wahlfreiheit eher assoziieren.
WÄHLEN DÜRFEN — — — — — — — — — — — - WÄHLEN MÜSSEN
FREIHEIT — — — — — — — — — — — - ZWANG
CHANCE AUF ERFOLG — — — — — — — — — — — - MÖGLICHKEIT DES SCHEITERNS
VORFREUDE — — — — — — — — — — — - ZUKUNFTSANGST
FÖRDERUNG — — — — — — — — — — — - ÜBERFORDERUNG
Filmarbeit
Der Kurzfilm ist zum Teil sehr dicht und sollte in jedem Fall mehr als einmal angesehen werden.
Beobachtungsaufgabe für das erstmalige Sehen des Films:
- Haltet Gedanken und Gefühle fest, die euch beim Sehen des Kurzfilms in den Sinn kommen.
Um die Richtung für das weitere Vorgehen auszuloten, sollte nun im Plenum ein Austausch über die Assoziationen der SuS stattfinden.
Mögliche Aufgaben zur Vertiefung für ein zweites Sehen:
- Verfasst eine Rezension zum Film.
- Interpretiert die Bedeutung der verschiedenen Taktgeber im Film (Stoppuhr, Metronom, Herzschlag…).
- Schreibt jeweils aus der Perspektive der Hauptdarstellerin und ihrer Eltern einen Text über den Lebensweg der Hauptdarstellerin.
- Entwerft eine Textcollage zum Begriff „Perfektion”.
- Entwerft eine Collage zum Thema „Leben im Takt“. (durch Vorgabe etwa von Abbildungen von Metronomen, Stoppuhren, etc. kann hier unterstützt bzw. gelenkt werden)
Nach der Auswertung kann auf den Ergebnisse der Schülerinnen und Schüler aufgebaut werden sowie eine Systematisierung vorgenommen werden. Inhaltliche Bezüge ergeben sich zu den Themen:
- Erziehung, Bildung, Beruf
- Attraktivität, Ansehen, Status
- Ziele, Motivation, Perfektionismus und Selbstoptimierung
Der Kurzfilm PERFECTION stellt ein bestimmtes Bild vom Menschen dar und kritisiert es gleichsam. Fragen lauten:
- Der Mensch ist… soll…muss…
- Sein Wert bemisst sich an…
- Beschreibt das zugrundeliegende Menschenbild. (Kann als Sammlung an der Tafel erfolgen; z.B. ist strebsam, erfolgreich, attraktiv, der Status ist entscheidend, sportlich, musikalisch, ordentlich…)
- Erklärt, weshalb die vermeintlich guten Ziele der Eltern hier so schlecht wirken.
Vertiefung
Die weitere Erarbeitung kann sich auf verschiedene im Film angesprochene Bereiche beziehen.
Das Phänomen der Perfektionierung bzw. Optimierung kann bezogen auf Erziehung, Bildung und Beruf oder auch auf Attraktivität, Ansehen und Status weiter vertieft werden.
Eine Auseinandersetzung zwischen eigenen und gesellschaftlich wahrgenommenen Ansichten sowie biblischem Menschenbild kann am Beispiel der paulinischen Theologie von 1Kor 12 erfolgen.
Abgesehen davon, dass Paulus im Anschluss an 1Kor 12,31 im 13. Kapitel die Liebe als wichtigste Gabe ins Zentrum rückt, fordert er seine Leser davor zunächst einmal auf nach den größeren Gaben zu streben. In anderen Übersetzungen liest man auch sinngemäß davon, dass jeder nach jenen Gaben streben soll, die der Gemeinde am nützlichsten sind. Seit jeher erscheint es in gewisser Weise als Widerspruch nach etwas zu streben, dass als Gabe daherkommt. Jedoch lässt sich sofort einwenden, dass jede unserer Fähigkeiten, die uns oder unserem Umfeld nützlich sind, ein Produkt aus Anlagen und Umwelt, aus Talent und investierter Mühe oder eben aus der Wirkung des Heiligen Geistes und dem eigenen Streben ist. Spannend ist hier das Verhältnis der Aussagen zur (Gleich-)Wertigkeit der verschieden begabten Gemeindeglieder (1Kor 12,12ff), zum Streben nach den größeren Gaben (1Kor 12,31a) und zur Zurückweisung aller Selbstgewissheit und Überheblichkeit durch die Priorisierung der Liebe (1Kor 13).
- Erläutere das in 1Kor 12 von Paulus entworfene Menschenbild.
Möglicher Hinweis für untere Klassenstufen: Folgende Themen sollten enthalten sein: Talent/Gabe, Geschenk, Anstrengung/Streben, Hierarchie/Status (der Menschen), Wertigkeit/Rangfolge (der Gaben).
- Positioniere dich persönlich zum paulinischen Entwurf im Hinblick auf seine Umsetzbarkeit in ausgewählten Bereichen.
- Entwirf ein Bildungs- bzw. Schulkonzept, welches das Ergebnis deiner Auseinandersetzung in die Praxis überträgt.
- …und ihre Stimmen kehrten zurück — 31. Oktober 2022
- Was im Leben zählt — 1. Mai 2022
- Dating 2.0 — Das digitale Geschäft mit der Liebe — 1. Januar 2022
1 Gedanke zu „Strebt aber nach den größeren Gaben!“