Dating 2.0 — Das digitale Geschäft mit der Liebe

Dating-Por­ta­le sind heut­zu­ta­ge eine Selbst­ver­ständ­lich­keit der digi­ta­len Welt. Zum Erfah­rungs­schatz vie­ler Men­schen gehört, dass Sie in ihrem Leben ein­mal mit der Anmel­dung auf einem sol­chen Por­tal zumin­dest gelieb­äu­gelt haben, sei es aus Inter­es­se und Neu­gier, dem Affekt einer schmerz­li­chen Bezie­hungs­er­fah­rung oder aus ande­ren Grün­den. Der Man­nig­fal­tig­keit der Bedürf­nis­se der Nut­ze­rin­nen und Nut­zer steht ein eben­so aus­dif­fe­ren­zier­tes Ange­bot gegen­über. Ähn­lich den gro­ßen sozia­len Netz­wer­ken ist dabei allen Por­ta­len ein (Heils-)Versprechen inhä­rent, in die­sem Fal­le, dass die nächs­te unver­bind­li­che Roman­ze oder aber die gro­ße Lie­be nur einen Klick ent­fernt sind.

Unter­schied­li­che Bezahl­mo­del­le, wel­che im End­ef­fekt die Wahr­schein­lich­keit eines erfolg­rei­chen Kon­takts erhö­hen sol­len, machen die Por­ta­le für die Anbie­ter ren­ta­bel. Die Jour­na­lis­tin Nadia Kai­louli und der Jour­na­list David Diwi­ak vom Reporter.innen-Kollektiv STRG_​F zei­gen in ihrer Repor­ta­ge Under­co­ver als Chat­schrei­be­rin: Fal­sche Flirts auf Dating-Platt­for­men, dass zum Geschäfts­mo­dell mit­un­ter auch bezahl­te Chat­schrei­ber gehö­ren, wodurch exem­pla­risch die Span­nungs­rei­che Ver­bin­dung zwi­schen mensch­li­chen Grund­be­dürf­nis­sen, Kapi­ta­lis­mus und Digi­ta­li­sie­rung offen­bar wird.

Im vor­lie­gen­den Arti­kel soll es nicht dar­um gehen, ob die Art des digi­ta­len Ken­nen­ler­nens nun bes­ser oder schlech­ter ist als ande­re For­men oder ob das vor­he­ri­ge Fil­tern mög­li­cher Kon­tak­te anhand von Kri­te­ri­en, wie Aus­se­hen, Cha­rak­ter­ei­gen­schaf­ten oder sozia­lem Sta­tus nun der Sarg­na­gel der Lie­be oder viel­mehr der Garant eines erfolg­rei­chen Matchings ist. Das ist eine Geschmacks­fra­ge, die jeder und jede für sich selbst ent­schei­den soll. Grund­sätz­lich ver­än­dert Digi­ta­li­sie­rung hier den für mensch­li­ches Leben grund­le­gen­den Vor­gang der Part­ner- und Bezie­hungs­fin­dung. Die Digi­ta­li­sie­rung der papier­nen Kon­takt­an­zei­ge bedeu­tet hier wie in ande­ren Berei­chen höhe­re Reich­wei­ten und Geschwin­dig­kei­ten, aber auch ganz neue Mög­lich­kei­ten von Gebrauch und Missbrauch.

Das Pro­blem ist in sei­ner grund­le­gen­den Struk­tur durch einen Inter­es­sen­kon­flikt der Anbie­ter bereits ange­legt. Einer­seits ist die Erfolgs­quo­te eines Por­tals natür­lich eine gute Wer­bung für Neu­kun­den. Ande­rer­seits bedeu­tet etwa das erfolg­rei­che Ken­nen­ler­nen und Ver­lie­ben von zwei Men­schen im Ide­al­fall auch, dass zwei Abon­ne­ments gekün­digt werden.

Neben dem Algo­rith­mus, wel­cher die Suchen­den zusam­men­brin­gen soll, ist die digi­ta­le Kom­mu­ni­ka­ti­on inte­gra­ler Bestand­teil der­ar­ti­ger Ange­bo­te. Und genau an die­ser Stel­le erzeugt die Digi­ta­li­tät eine Situa­ti­on, in wel­cher Scha­den und Leid nicht mehr unmit­tel­bar erfah­ren wer­den, son­dern ver­mit­telt durch den Bild­schirm ver­än­dert wer­den. In jedem Fall erscheint die­ses Fall­bei­spiel für die exem­pla­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zung von Schü­le­rin­nen und Schü­ler mit dem Ein­fluss der Digi­ta­li­sie­rung auf mensch­li­che Bezie­hun­gen geeignet.

Wich­tig erscheint hier aber auch, dass im Lau­fe der Behand­lung der The­ma­tik das Online-Dating nicht pau­schal dis­kre­di­tiert wird, son­dern in geeig­ne­ter Wei­se auch posi­ti­ve Aspek­te zur Spra­che kom­men können.

Kern­kom­pe­tenz: Ethi­sche Ent­schei­dungs­si­tua­tio­nen im indi­vi­du­el­len und gesell­schaft­li­chen Leben wahr­neh­men, die christ­li­che Grund­le­gung von Wer­ten und Nor­men ver­ste­hen und begrün­det han­deln können.

Jahr­gang: 10 – 12

Arbeits­for­men: Ethi­sche Urteils­bil­dung; Dis­kus­si­on; Medi­en­ana­ly­se; krea­ti­ves Schrei­ben; Internet-Recherche

Medi­en:

  • Fort­set­zung der Repor­ta­ge von STRG_​F: Link
  • Zur Ana­ly­se der AGB ver­schie­de­ner Por­ta­le, z. B. mich​ver​lie​ben​.de: Link
  • Bericht der Ver­brau­cher­zen­tra­le in Bay­ern zur Nut­zung von Fake-Pro­fi­len auf Online-Dating-Platt­for­men: Link
  • Lis­te der Ver­brau­cher­zen­tra­le Bay­ern zu Online-Dating-Por­ta­len, die Fake-Pro­fi­le ein­set­zen: Link
    • Ach­tung: Sei­ten mit expli­zit sexu­el­len Inhal­ten auf der Lis­te enthalten!

Methodisches Vorgehen

Einstieg

Es erscheint zunächst sinn­voll, dass sich Schü­le­rin­nen und Schü­ler (SuS) mit Ihrem Vor­wis­sen und Ihren Stand­punk­ten hin­sicht­lich des The­mas Online-Dating-Por­ta­le aus­ein­an­der­set­zen. Dies kann kurz im Unter­richts­ge­spräch oder etwas aus­führ­li­cher in ver­schie­de­nen koope­ra­ti­ven Sozi­al­for­men statt­fin­den. Denk­bar ist, dass die SuS eine Mind­map erstel­len, auf Fra­gen ant­wor­ten oder Sät­ze vervollständigen.

Die fol­gen­den Anre­gun­gen kön­nen hier­für hilf­reich sein:

  • Wel­che Online-Dating-Por­ta­le sind bekannt?
  • Wel­che Unter­schie­de gibt es zwi­schen den Portalen?
  • Wel­che Grün­de gibt es, sich auf einem Dating-Por­tal anzumelden?
  • Was suchen Men­schen dort und was fin­den sie eurer Mei­nung nach?
  • Was spricht eurer Mei­nung nach für und was gegen die Nut­zung eines Online-Dating-Portals?
  • Wie ver­die­nen die Anbie­ter mit den Por­ta­len Geld?
    • Zum Geschäfts­mo­dell bie­tet sich auch eine kur­ze Recher­che oder vor­be­rei­ten­de Haus­auf­ga­be. Die SuS sol­len in der Lage sein, die ver­schie­de­nen Mög­lich­kei­ten mit Apps und Por­ta­len Geld zu ver­die­nen, erklä­ren zu kön­nen. (z.B. Kauf der App, Free/­Pre­mi­um-Model­le, In-App-Käu­fe; Wer­bung; Ein­wil­li­gung zum Datenverwertung)

Filmarbeit

Neben einer metho­disch abwechs­lungs­rei­chen Film­ana­ly­se bie­tet sich die Repor­ta­ge für bereits fort­ge­schrit­te­ne Ober­stu­fen­kur­se sicher auch als ver­tie­fen­des Fall­bei­spiel zur ethi­schen Urteils­bil­dung an. Sind die Schrit­te ethi­scher Urteils­bil­dung und geeig­ne­te Ansät­ze theo­lo­gi­scher und phi­lo­so­phi­scher Ethik bereits bekannt, kön­nen die SuS auch ohne wei­te­re Vor­be­rei­tung das ethi­sche Pro­blem benen­nen und dazu ein begrün­de­tes Urteil fällen.

Auf­ga­ben­bei­spiel für die fort­ge­schrit­te­ne Anwendungsaufgabe:

  • Erör­tern sie das der Repor­ta­ge zugrun­de­lie­gen­de ethi­sche Pro­blem.
  • Wen­den Sie die Schrit­te der ethi­schen Urteils­bil­dung auf das Fall­bei­spiel an.
  • Erläu­tern Sie am Fall­bei­spiel das Span­nungs­feld von mensch­li­chen Grund­be­dürf­nis­sen, Kapi­ta­lis­mus und Digi­ta­li­sie­rung.

Steigt man mit die­sem Fall­bei­spiel ein oder han­delt es sich um eine etwas wei­ter unten ange­sie­del­te Klas­sen­stu­fe, sind ande­re Zugän­ge denk­bar, wel­che in der Ober­stu­fe natür­lich auch zur Anwen­dung kom­men können.

  • Beschreibt das in der Repor­ta­ge dar­ge­stell­te Geschäfts­mo­dell.
  • Beschreibt Emo­tio­nen und Erkennt­nis­se der Under­co­ver-Jour­na­lis­tin wäh­rend der Reportage.
  • Beschreibt eure eige­nen Erkennt­nis­se und Gefüh­le wäh­rend des Sehens der Repor­ta­ge. Was hat euch inter­es­siert, über­rascht, scho­ckiert…? Dis­ku­tiert eure Erfah­rung mit Mit­schü­le­rin­nen und Mitschülern.
  • Erstellt eine Art Sozio­gramm, in wel­chem Ihr alle am Geschäfts­mo­dell Betei­lig­ten cha­rak­te­ri­siert und in Ihrer Bezie­hung zuein­an­der dar­stellt. (Nut­zer, Chat­schrei­ber, Chef der Chat­schrei­ber, Anbieter) 
    • Zur Ver­tie­fung bie­tet es sich hier auch an die Fol­ge­re­por­ta­ge (unter Medi­en ange­ge­ben) anzu­se­hen. Hier kom­men auch ehe­ma­li­ge Chat­schrei­ber und Nut­zer zu Wort.
  • Set­ze dich mit der fol­gen­den Aus­sa­ge aus der Repor­ta­ge auseinander: 
    • Nadia: „Ich frag mich nur, die die die­sen Job machen, ob die auch alle ein­sam sind. So, ob die Ein­sam­keit die Ein­sam­keit nimmt. Nur der eine gibt das Geld dafür aus und der ande­re ver­dient daran.“

Mögliche Vertiefungsaufgaben zur Erschließung des Film

  • Ver­fasst eine scho­nungs­los ehr­li­che Stel­len­an­zei­ge für den Job als Chatschreiber.
  • Ana­ly­siert ein Por­tal (aus­drück­li­cher Hin­weis: ohne euch anzu­mel­den) und stellt dabei die Wer­be­ver­spre­chen und die AGBs/​FAQs gegenüber. 
    • Hier bie­tet sich das unter Medi­en ange­ge­be­ne Por­tal an, da hier in den AGBs das Geschäfts­mo­dell sehr schnell deut­lich wird. Auf der unter Medi­en ver­link­ten Lis­te der Ver­brau­cher­zen­tra­le Bay­ern lässt sich womög­lich aber auch die ein oder ande­re Sei­te nut­zen. Lehr­kräf­te soll­ten die Sei­ten aus­wäh­len, da hier auch Sei­ten mit expli­zit sexu­el­len Inhal­ten auf­ge­führt sind!
  • Auf­grund der Anga­ben in den All­ge­mei­nen Geschäfts­be­din­gun­gen ist das Geschäfts­mo­dell der dar­ge­stell­ten Anbie­ter legal oder zumin­dest eine Grau­zo­ne. Wo liegt euer Mei­nung nach zwi­schen Tech­nik, Recht und Moral das eigent­li­che Pro­blem bzw. eine Lösungsansatz?
  • Erar­bei­tet ein Prä­ven­ti­ons­kon­zept, wel­ches Men­schen dazu befä­higt der­ar­ti­gen Betrug recht­zei­tig zu erken­nen. Dif­fe­ren­ziert euer Kon­zept ggf. nach Adres­sa­ten und Anwengs­ge­bie­ten aus.

Abschlie­ßend soll­ten die SuS in jedem Fall zu einem begrün­de­ten Urteil gelan­gen. Dies kann schrift­lich erfol­gen, es ist aber auch sicher denk­bar, dass ein krea­ti­ves Schreib­pro­dukt oder ein Dis­kus­si­ons­for­mat zum Ein­satz kommt. Da es sich nur um ein Fall­bei­spiel han­delt, soll­te dar­auf geach­tet wer­den, dass die Erkennt­nis­se abs­tra­hiert und auch mit ande­ren Berei­chen, in wel­chen sich mensch­li­che Grund­be­dürf­nis­se, wirt­schaft­li­che Inter­es­sen und Digi­ta­li­sie­rung tref­fen, in Bezie­hung gesetzt werden.

Tobias Neumeister
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