Nur weil es nicht bei uns passiert, heißt das nicht, dass es nicht passiert. Mit diesen Zeilen endet der Spot der Kinderrechtsorganisation Save the Children, welcher die dramatischen Veränderungen im Leben eines britischen Mädchens zeigt. Erzählerisch von zwei Geburtstagen umrahmt, werden im Sekundentakt die Etappen eines Jahres angedeutet, welches von Unsicherheit und Angst, von Leid und Flucht geprägt ist. Ganz am Schluss wird noch einmal Geburtstag gefeiert. Der Zuschauer wird an dieser Stelle in die Szene hineingezwungen und die Bildersprache entfaltet ihre volle Wucht.
Die Fragen „Was wünschst du dir für das nächste Lebensjahr” oder auch „Wo siehst du dich in einem Jahr” sind in unserem Alltag überwiegend positiv besetzt. Sie verweisen auf Hoffnungen im beruflichen, materiellen oder sozialen Bereich. Mitunter erinnern sie uns auch in letzterer Version an einen Fragentyp, der in Vorstellungsgesprächen vorkommt. Und auch dort geht es darum, wie gut der oder die Bewerbende das eigene berufliche Vorankommen einschätzen kann. Erwartet wird an dieser Stelle sicher meistens ein optimistisches Ziel, das durch fleißiges Arbeiten erreicht werden kann.
Im vorliegenden Clip gilt all das nicht, weil auch unsere Vorstellungen von Alltag für das junge Mädchen im Laufe der Geschichte immer weniger gelten. Als zentral für das Verständnis des Clips ist die Wahl der Hauptfigur zu betrachten. Mit 8 Jahren, so viel Kerzen zählt man zu Beginn auf der Geburtstagstorte, kann man nicht verantwortlich sein für gesellschaftliche Verwerfungen, politische Streitigkeiten, für Hass und Gewalt zwischen Erwachsenen. Als sich die Situation zuspitzt zeigt sich vielmehr, dass die äußere Umwelt als ständige Bedrohung wahrgenommen wird. Zum Schluss scheint das Mädchen in Sicherheit zu sein und das angsterfüllte Umherblicken hat ein Ende. Vom Lächeln, dass der Zuschauer bei der ersten Geburtstagsszene sehen konnte ist jedoch keine Spur mehr zu entdecken. Anstatt eines freudigen Blickes auf die Geburtstagskerze richten sich die Augen direkt auf den Zuschauer und fordern bei diesem eine Reaktion ein, wodurch die Trennlinie zwischen dem leidenden Mädchen und dem Beobachter des Geschehens vom einem zum anderen Moment nicht mehr existiert.
Kernkompetenz: Ethische Entscheidungssituationen im individuellen und gesellschaftlichen Leben wahrnehmen, die christliche Grundlegung von Werten und Normen verstehen und begründet handeln können.
Jahrgang: 7 – 12
Arbeitsformen: Filmarbeit, kreatives Schreiben, Internetrecherche, Projektarbeit, Bildbetrachtung, Podiumsdiskussion, Textarbeit
Hintergrundinformationen und Medien:
- kommentierte Version von Spiegel online: Link
- Homepage der Kinderrechtsorganisation Save the Children: Link
- Kunst auf Euroscheinen des griechischen Künstlers Stefanos: Link
- Blog zu Hasspostings — Perlen aus Freital: Link
- Karin Göring-Eckart über Hasspostings auf ihrem Facebookprofil: Link
- Fluchtspiel Last Exit von UNHCR: Link
- Janne Teller: Krieg. Stell dir vor, er wäre hier: Link (auch als Hörbuch erhältlich, gelesen von Katja Riemann)
- Theaterprojekt zum Buch von Janne Teller: Link
Methodisches Vorgehen
Einstieg
Der Clip kann innerhalb einer ganzen Einheit zur Flüchtlingskrise eingesetzt werden oder anlassbezogen als Argumentationsbasis herangezogen werden. In Abhängigkeit von Lerngruppe, Altersstufe und Reflexionsvermögen der Schüler sind folgende Einstiege denkbar:
- Internetrecherche zur Situation von Kindern in Krisengebieten und flüchtenden Kindern, z.B. Unicef
- Unterrichtsgespräch zum Thema: Wie stellt ihr euch Krieg vor?
- Bildbetrachtung zum Thema Flucht (Bilderserie)
Erarbeitung am Film:
Der Clip ist kurz und in seiner Handlung sehr dicht. Deshalb kann und sollte der Film mehrfach gezeigt werden.
Nach dem ersten Sehen:
- Formuliere einen ersten Eindruck zum Film. (schriftlich oder im Unterrichtsgespräch)
Nach dem zweiten oder mehrmaligen Sehen
- Formuliere drei Tagebucheinträge aus der Sicht des Mädchens, welche jeweils an Anfang, Mitte und Ende des gezeigten Lebensjahres verfasst sein könnten.
- Stell dir vor du sitzt nicht vor einem Bildschirm oder einer Leinwand, sondern dem Mädchen an ihrem Geburtstag nach der Flucht gegenüber. Was würdest du ihr sagen, was fragen und wie würde sie deiner Meinung nach reagieren? Formuliere schriftlich einen Dialog. (Partnerarbeit bietet sich hier an)
- In einem zweiten Schritt kann die vorherige Aufgabe aus Sicht des Mädchens bearbeitet werden. Was würde sie sagen und fragen, wenn sie dich als gegenüber hätte.
- Bei einer Präsentation der Dialoge aus Aufgabe 2 und 3 sollte das Plenum eine Beobachtungsaufgabe bekommen: Verfolge den Dialog und gib begründet Auskunft darüber ab, für wie gelungen du ihn hältst. Erkläre dabei auch, wieso die Gesprächspartner dabei in dieser Form reagieren.
Nachbereitung
Aus dem Leid des Mitmenschen erwächst immer und so auch in diesem Fall ein Appell, ein Anspruch, welcher den Beobachter zu Entscheidungen nötigt. Er kann sich dafür entscheiden zu helfen. Er kann sich entscheiden nicht zu helfen, weil schon andere helfen, er nicht die Macht hat zu helfen oder das Hilfegesuch an sich seiner Meinung nach unberechtigt ist. Nuanciert erleben wir derzeit ebendiese Reaktionen auf das Asylgesuch der vielen Flüchtenden in Deutschland und Europa.
Das in diesem Artikel vorgestellte Video ist geeignet, um beim Zuschauer Betroffenheit zu erzeugen. Wenn die Betroffenheit aber zum Selbstzweck oder zum Mittel der Selbstdarstellung verkommen ist, immer wieder neu entfacht durch die mediale Bilderflut vom Leid der Flüchtenden, verdient sie es nicht so genannt zu werden. Von einer verständnisvolleren Haltung bis hin zu einem persönlichen Engagement können die Resultate einer wirklich empathischen Erfahrung reichen.
Im Folgenden werden vertiefende und weiterführende Unterrichtsbausteine zum Thema vorgestellt.
Hasspostings in sozialen Netzwerken — medienpädagogisches Arbeiten
- Ein aktuelles Phänomen in sozialen Netzwerken ist es, dass Menschen in sogenannten Hasspostings auch unter ihrem Klarnamen ihre Sicht auf die Flüchtlinge in menschenverachtender Weise in die Internetöffentlichkeit tragen, für alle Menschen mit Internet und beispielsweise einem Facebook-Account sichtbar. Gleichzeitig formiert sich Widerstand, welcher sich nicht auf eine Gegenrede beschränkt. Mehrfach wurde bereits in den Medien davon berichtet, dass Strafanzeigen und das Anprangern beim Arbeitgeber der verbal um sich Schlagenden zu persönlichen Konsequenzen bis hin zur Kündigung geführt haben (beispielhaft hier zu lesen: weltonline oder rbb).
- Schüler können an dieser Stelle zum einen darüber diskutieren, inwiefern derartige Äußerungen über Menschen in Not christlicher Ethik und christlichem Menschenbild widersprechen. Zum anderen wäre auch aus medienpädagogischer Sicht eine Debatte über Kommunikation in sozialen Netzwerken und die Art des Vorgehens gegen Hasspostings denkbar. Da Schüler in hohem Maße über soziale Netzwerke mit mehr oder weniger großer Öffentlichkeit kommunizieren, sind die Schüler an dieser Stelle unmittelbar herausgefordert. Aus der Frage, ob man auf dem Schulhof in eine Prügelei eingreift, wird die Frage, ob und wie ich mich in eine Diskussion einschalte, wenn menschenverachtende Kommentare in meinem Newsfeed oder einem Chat auftauchen.
- Nach den Ausschreitungen in Freitag gegen eine Flüchtlingsunterkunft, der im Vorfeld in den sozialen Medien verbale Ausschreitungen vorangingen, wurde ein Blog ins Leben gerufen, der Hasspostings sammelt. Auf Perlen aus Freital (Link) kann man sich einen Eindruck verschaffen oder aber Kommentare zur Analyse entnehmen.
- Die Politikerin Karin Göring-Eckard hat sich in einem Beitrag über die Anfeinungen auf ihrem Facebookprofil gegen sich geäußert: Link
Diakonisches Lernen — Compassion — Service Learning
- Denkbar ist es, dass aus Betroffenheit und Ohnmacht im Angesicht des Unglücks der Flüchtlinge der Wunsch bei den Schülern entsteht selber etwas zu unternehmen.
- Patenschaftsprojekt für geflüchtete Schüler in der eigenen Schule oder für Kinder in der Stadt. Die Freiwilligenagentur in Halle (Link) organisiert bspw. aktuell (Stand11.09.15) unter dem Titel „Werden Sie Zeitpate!” eine Hausaufgabenhilfe für Flüchtlingskinder. Ein solches Projekt könnte personell oder finanziell unterstützt oder erst ins Leben gerufen werden.
- Unterstützung eines Hilfsprojekts für Kinder in Not durch eine Geld- oder Sachspenden. Die Schüler könnten sich begründet für eine Form der Hilfe und eine Institution entscheiden und die Planung, Durchführung und Auswertung, unterstützt durch die Lehrkraft, weitgehend selbständig leisten.
„Das Boot ist voll” — Bildbetrachtung und Podiumsdiskussion
- Die Werke auf Euroscheinen des griechischen Künstlers Stefanos (Link) lassen sich gut für eine Bildbetrachtung verwenden. Im Anschluss daran wäre eine Podiumsdiskussion denkbar, in welcher über Möglichkeiten der Nothilfe diskutiert wird.
Lastexit — digitales Fluchtspiel vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR)
- Zur Vertiefung der Situation von Flüchtlingen ist das Spiel lastexit geeignet. Die Schüler können sich hier sowohl über Aspekte von Flucht als auch die Hintergründe informieren. (Link)
- Videos, die das Spiel zeigen und eine Unterrichtsidee finden sich hier.
Janne Teller. Krieg. Stell dir vor, er wäre hier — Lesen eines literarischen Werkes
- Unter Umständen kann eine Vertiefung der Perspektivenübernahme geeignet sein, um die Schüler weiter zu sensibilisieren oder aber ihr Interesse an den ihnen fremden Lebensumständen zu befriedigen. Ein sehr gutes Medium in dieser Hinsicht stellt die kurze Erzählung von Janne Teller „Krieg. Stell dir vor, er wäre hier“ dar. Im seinem Werk verdeutlicht der Autor sehr gut die Lebensumstände von Bedrängnis, Flucht und Asyl, indem er in Analogie zu den Flüchtlingskrisen in der Welt Deutschland als Ausgangspunkt seiner Fluchtgeschichte wählt. Das Lesen des Buches oder das Hören der Hörbuchversion ist in einer Unterrichtsstunde gut zu schaffen. Neben der Beschreibung der Handlung können die Schüler Parallelen zur Situation von in Deutschland Asyl suchenden Flüchtlingen ermitteln und über den Umgang mit Flüchtlingen in Politik und Gesellschaft diskutieren.
https://webcompetent.org/wp-content/uploads/2015/09/nba_sks_ev_rel_s21.pdf
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