Darf man Regeln brechen und muss man das manchmal sogar?

Am 14. Mai 2020 erschien in der ZEIT ein Aus­schnitt aus einem Gespräch des Jour­na­lis­ten Raoul Löb­bert mit Thü­rin­gens Minis­ter­prä­si­den­ten Bodo Rame­low über die mora­li­schen Her­aus­for­de­run­gen für Poli­ti­ker. Im Inter­view spricht Rame­low, Mit­glied bei den Lin­ken und katho­li­scher Christ, über den Ent­schei­dungs­druck vor dem Shut­down und die Aus­wir­kun­gen auf das Leben sei­ner Fami­lie. Er erzählt von unvor­her­seh­ba­ren Kon­se­quen­zen und wie er selbst in ein per­sön­li­ches Dilem­ma geriet.

Kern­kom­pe­tenz: Ethi­sche Ent­schei­dungs­si­tua­tio­nen im indi­vi­du­el­len und gesell­schaft­li­chen Leben wahr­neh­men, die christ­li­che Grund­le­gung von Wer­ten und Nor­men ver­ste­hen und begrün­det han­deln können.

Jahr­gang: ab Jahr­gang 9

Arbeits­for­men: bio­gra­fi­sche Refle­xi­on, Interviewauswertung

Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen:

Das Gespräch mit Bodo Rame­low: Die ZEIT, 212020 (https://​www​.zeit​.de/​2​0​2​0​/​2​1​/​b​o​d​o​-​r​a​m​e​l​o​w​-​c​o​r​o​n​a​-​k​r​i​s​e​-​k​r​i​s​e​n​p​o​l​i​t​i​k​-​a​l​t​e​n​p​f​l​e​g​e​-​g​e​s​u​n​d​h​e​i​t​s​w​e​s​e​n​/​k​o​m​p​l​e​t​t​a​n​s​i​cht); 23.05.2020

Stim­men aus der Poli­tik zum Interview:

Darf man Regeln brechen und muss man das manchmal sogar?

  1. Tauscht euch in der Lern­grup­pe über eige­ne Regel­brü­che aus.
  2. Bestimmt die dahin­ter­lie­gen­den Bedürf­nis­se, die durch den Ver­stoß erfüllt werden.
  3. For­mu­lie­re eine eige­ne Ant­wort auf Eingangsfrage.

Wir haben die Menschen alleine sterben lassen”

Raoul Löb­bert spielt auf das Trol­ley-Pro­blem an. Er erzählt vom Zug, von der Wei­chem von den vie­len mög­li­chen Toten und den Arbei­tern auf der Bau­stel­le. Bodo Rame­low erklärt, dass er sich im Gedan­ken­ex­pe­ri­ment wie­der­erkennt und dass er in den letz­ten Wochen sich tat­säch­lich als Teil eines mora­li­schen Expe­ri­men­tes erlebt hat. Er ver­weist kon­kret auf den 12. März und den Beschluss zur Schlie­ßung der Kitas und Schu­len. Dabei sei­en ihm und ande­ren Minis­ter­prä­si­den­ten die tie­fe der Aus­wir­kun­gen auf das Leben der Men­schen bis ins Detail hin­ein, nicht klar gewesen.

Fra­ge: … Es gab Fäl­le, da durf­ten Ehe­leu­te nicht mal von­ein­an­der Abschied neh­men. Da starb man allei­ne und wur­de unter Aus­schluss der Öffent­lich­keit begra­ben. Das haben Sie mitentschieden.

Rame­low: Ja, das habe ich. Und heu­te fra­ge ich mich, ob das in allen Punk­ten rich­tig war oder ob es nicht mög­li­cher­wei­se noch ande­re Lösun­gen gege­ben hät­te. Vor Kur­zem ist etwa mei­ne Nach­ba­rin gestor­ben. Ich kann­te sie seit vie­len Jah­ren. Eigent­lich hät­te ich nicht bei ihrer Beer­di­gung dabei sein dür­fen. Doch ich hat­te das Gefühl, es zu müs­sen, wenn auch mit gro­ßem Abstand. Alles ande­re wäre mir unmensch­lich vor­ge­kom­men. Schließ­lich habe ich gegen die Ver­ord­nung ver­sto­ßen, die ich selbst zu ver­ant­wor­ten habe.

Fra­ge: Bun­des­tags­prä­si­dent Wolf­gang Schäub­le sag­te kürz­lich, die Wür­de des Men­schen ist unan­tast­bar. Aber das schlie­ße nicht aus, dass Men­schen ster­ben müs­sen. Des­halb kön­ne es kei­nen abso­lu­ten Schutz des Lebens geben.

Rame­low: Das war ein klu­ger und rich­ti­ger Satz, für den Schäub­le aus mir unver­ständ­li­chen Grün­den kri­ti­siert wur­de. Mei­ne Frau etwa ver­zwei­felt schier, ihre Mut­ter in Ita­li­en nicht besu­chen zu kön­nen, soll­te ihr etwas gesche­hen. Es geht in der Tat nicht nur um den Schutz des Lebens. Wir müs­sen auch mehr über Wür­de reden. Zur Wahr­heit gehört: Wir haben Men­schen in den ver­gan­ge­nen Wochen allein ster­ben las­sen, ohne Beglei­tung, ohne Trost. Das war wür­de­los, auch wenn es uns alter­na­tiv­los erschien.

  1. Gib den Gesprächs­ver­lauf mit eige­nen Wor­ten wieder.
  2. Über­prü­fe Dein Ver­ständ­nis des Inter­views, indem du den gesam­ten Arti­kel liest.
  3. Tauscht euch über die Bedürf­nis­se Bodo Rame­los aus, die unter Umstän­den zum Regel­bruch geführt haben.
  4. Dis­ku­tiert in der Lern­grup­pe, ob und inwie­fern Bodo Rame­low als Minis­ter­prä­si­dent zur Ein­hal­tung der Regeln ver­pflich­tet ist.

Das meinen Andere dazu

Ich kann Bodo Rame­low gut ver­ste­hen. Denn eine alte Weis­heit sagt: Eine Regel ist nur dann gut und mensch­lich, wenn sie Aus­nah­men zulässt.
Wolf­gang Thier­se, ehe­ma­li­ger Prä­si­dent des Deut­schen Bundestages

Eine Ver­ur­tei­lung Rame­lows steht mir nicht zu. Aber wenn ich mich von jeman­dem hät­te ver­ab­schie­den müs­sen, dann wäre ich wahr­schein­lich im Stil­len und allein an das Grab getreten.
Petra Köp­ping, Gesund­heits­mi­nis­te­rin in Sachsen

Wir leben in einem Rechts­staat, in dem jeder für sich selbst ver­ant­wort­lich ist … Wer gegen eine Ver­ord­nung ver­stößt, muss die Kon­se­quen­zen tra­gen — ganz gleich, wel­chen beruf oder wel­ches Amt er innehat.
Micha­el Kret­schmer, Sach­sens Ministerpräsident

Was Bodo Rame­low getan hat, war nicht rech­tens; aber es war sei­nem Gewis­sen fol­gend in die­ser kon­kre­ten Situa­ti­on wohl das Richtige.
Hei­ner Koch, Erz­bi­schof von Berlin

Es ist mensch­lich sehr nach­voll­zieh­bar, war­um Bodo Rame­low so gehan­delt hat, wie er gehan­delt hat. Schon des­we­gen wür­de ich n icht den stab über ihn brechen.
Mar­co Wan­der­witz, CDU

  1. Posi­tio­niert euch mit­hil­fe einer Umfra­ge zu den hier genann­ten Urteilen.
  2. Ergänzt wei­te­re Optio­nen in einer Mindmap.
  3. Ent­wi­ckelt eine Umfra­ge und bezieht die Ergeb­nis­se in die Dis­kus­si­on ein.

Der Sabbat ist für den Menschen gemacht …

An einem Sab­bat ging Jesus durch die Fel­der. Sei­ne Jün­ger fin­gen an, am Weg ent­lang Ähren abzu­rei­ßen und die Kör­ner zu essen. Da sag­ten die Pha­ri­sä­er zu ihm: »Hast du gese­hen, was sie da tun? Das ist doch am Sab­bat nicht erlaubt!« Jesus ent­geg­ne­te: »Habt ihr nie gele­sen, was David tat, als er und sei­ne Beglei­ter nichts zu essen hat­ten und Hun­ger lit­ten? Wie er damals – zur Zeit des Hohen­pries­ters Abja­tar – ins Haus Got­tes ging und von den geweih­ten Bro­ten aß, von denen doch nur die Pries­ter essen dür­fen, und wie er auch sei­nen Beglei­tern davon gab?« Und Jesus füg­te hin­zu: »Der Sab­bat ist für den Men­schen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat.«

  1. Gib das Streit­ge­spräch zwi­schen Jesus und den Pha­ri­sä­ern mit eige­nen Wor­ten wie­der und erläu­te­re ihre Positionen.
  2. Dis­ku­tiert in der Lern­grup­pe die Bedeu­tung der Ant­wort Jesu für den Umgang mit Regeln, für die Zei­ten der Distanz und für ande­re Situa­tio­nen und Orte.
  3. For­mu­liert eine Mail oder einen Brief an Thü­rin­gens Minis­ter­prä­si­den­ten, der eure Über­le­gun­gen, euren Aus­tausch und eure Posi­tio­nen spiegelt.
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Andreas Ziemer
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