Vermutlich würde es eine ganze Reihe von Konsumgütern geben, auf die wir verzichten würden, wenn wir die Produktionskette in Gänze vor Augen hätten. Dazu gehören beispielsweise die Bedingungen unter denen Rohstoffe gewonnen werden, die Situation der beteiligten Arbeiterinnen und Arbeiter, die Lebensbedingungen der Tiere sowie die Umstände von Produktion und Vertrieb. In die komplexen Wertschöpfungsketten hat der Verbraucher im Allgemeinen jedoch nur einen sehr eingeschränkten Einblick. Ob Arbeiterinnen gerecht entlohnt werden oder Tiere wirklich naturnah gehalten werden, kann man dem Produkt nur bedingt ansehen. Dass eine Gans aber auf dem Weg zur Tiefkühltruhe ihr Leben verliert und geschlachtet werden muss, steht zu 100% fest und bleibt doch als Vorgang vor unseren Augen verborgen. Der Artikel thematisiert die ethischen Herausforderungen, welche aus der öffentlichen Sichtbarkeit dieses Geschehens erwachsen.
Das vorliegende Experiment des Wissenschaftsmagazins Quarks & Co versucht sich stichprobenartig der Frage zu nähern, ob die Sichtbarkeit eines offensichtlich stattfindenden Prozesses die Sicht auf diesen Prozess ändert. Der Clip und die Ergebnisse des Experiments erzeugen eine Reihe von Impulsen, welche es zu hinterfragen gilt. Sind Empörung oder Entsetzen fleischessender Erwachsener nicht Selbstbetrug? Ist die Crowdfunding-Kampagne für 9 Gänse angesichts von hunderttausenden geschlachteten Gänsen pro Jahr nicht purer Aktionismus? Auch die Frage, in welchem Verhältnis das Engagement für die Gänse im Verhältnis zum Engagement für hilfsbedürftige Mitmenschen steht, müssen sich die Initiatoren sicher gefallen lassen. Warum reden wir bei Haustieren über das individuelle Tierwohl, aber bei Nutztieren eher über die allgemeinen Haltungsbedingungen? Wie lässt sich Fleischkonsum ethisch rechtfertigen und welche Rolle spielt die vorbildlich wirkende Tierhaltung dieses Bauern in der Argumentation?
Darüber hinaus stellt sich ganz allgemein die Frage nach welchen ethischen Prinzipien unsere Rolle als Konsumenten in unserem Wirtschaftssystem überhaupt ausgerichtet werden kann.
Kernkompetenz: Ethische Entscheidungssituationen im individuellen und gesellschaftlichen Leben wahrnehmen, die christliche Grundlegung von Werten und Normen verstehen und begründet handeln können.
Jahrgang: 8 – 12
Arbeitsformen: Bildbetrachtung, kreatives Schreiben, Umfrage, Präsentation, Internetrecherche, Filmanalyse, Podiumsdiskussion
Medien:
- WDR-Mediathek – weitere Clipvarianten und themenverwandte Videos: Link
- Illustration zum Verhältnis von Haustier und Nutztier — Pawel Kuczynski: Link
- Clip auf YouTube: Link
- Tierethische Positionen – Bundezentrale für politische Bildung: Link
- Andere Zeiten (Hrsg.): Oh ! noch mehr Geschichten für andere Zeiten. 3. Auflage, Andere Zeiten e.V. Hamburg, S. 14 – 15. Geschichte von einem Mädchen, dass Seesterne am Strand rettet
- Quarks & Co: Schlachtung und warum sie häufig schiefläuft. Bei Interesse und guten Nerven zur Vertiefung: Link
- Zeit-Artikel zu Widersprüchen in unserem Verhältnis zu Tieren: Link
Vorbemerkungen
Um das eingebettete Video auf dem YouTube-Channel von Quarks & Co ansehen zu können, muss man sich anmelden und sein Alter bestätigen, weil der Clip, wie es dort heißt, „eventuell für einige Nutzer unangemessen“ ist. Hier tut sich ein doppelter Boden auf. Einerseits sollte die verantwortliche Lehrkraft dies gerade in den unteren Klassenstufen unbedingt berücksichtigen. Im Video wird eine Gans betäubt, getötet und geschlachtet. Für viele Kinder ist dies sicher tatsächlich ein Novum. Darüber hinaus eröffnet sich hier jedoch auch eine didaktische Chance. Ein maßgeblicher Faktor der Beurteilung scheint die Sichtbarkeit oder eben Unsichtbarkeit dieser Vorgänge zu sein. Die Lerngruppe und die einzelnen Schülerinnen und Schüler also über die Inhalte des Clips zu informieren und ihnen zur Wahl zu stellen, ob sie auch jene Inhalte sehen wollen, welche „unangemessen“ sein könnten und diese Entscheidung und die Folgen zu reflektieren, setzt genau an diesem neuralgischen Punkt an. Das unten eingebettete H5P-Video ermöglicht eine unkomplizierte technische Lösung dieser Entscheidung. Alternativ dazu kann man natürlich einfach das Video stoppen und an entsprechender Stelle fortsetzen.
I. Einstieg
Mögliche vorbereitende Hausaufgabe
Teil 1: Internetrecherche
Wähle zuhause ein Produkt aus, welches aus tierischen Erzeugnissen besteht bzw. solche enthält und versuche möglichst genau die folgenden Fragen zu klären. (Recherchezeit begrenzen!)
- Wo und wie werden die Tiere gehalten. (Bio, konventionelle Massentierhaltung, Schlachtalter, Futterqualität und Herkunft des Futters…)
- Wie wird das Produkt industriell verarbeitet?
- Welche Arbeitsbedingungen haben die Angestellten in den unterschiedlichen Produktionsschritten?
- Welche Folgen für die Umwelt hat die Produktion des Konsumguts und wie sieht es mit der Entsorgung der resultierenden Abfälle aus?
- [eigene Fragen denkbar]
Teil 2: Reflexion
- Fasst die Ergebnisse dieser Suche zusammen.
- Beschreibt die gemachte Erfahrung.
- Formuliert in diesem Zusammenhang ein mögliches ethisches Problem.
II. Filmarbeit
Die Schülerinnen und Schüler sollten zunächst über den Inhalt des Films aufgeklärt werden, um sie nicht zu überrumpeln und ihnen, die schon oben beschriebene Wahl zu lassen. Wer für sich das Sehen der entsprechenden Szenen ablehnt, dem sollte diese Möglichkeit auch eingeräumt werden. Gleichzeitig kann an dieser oder späterer Stelle eine Begründung für die Haltung erfragt werden, freilich ohne, dass diese die Voraussetzung für das Gewähren des Wunsches sein kann.
Interaktive Variante des Clips, welche schrittweise das Weiterschauen
oder Überspringen der einzelnen Schritte der Schlachtung ermöglicht
Mögliche Beobachtungsaufgaben zum Film:
- Beschreibt euren Eindruck zur Haltung und zum Verkauf der Gänse.
- Stellt Vermutungen zu möglichen Reaktionen auf das öffentliche Schlachten der Gänse an. (hier müsste das Video dann entsprechend pausiert werden)
- Analysiert die Reaktionen im Clip, aber auch die eigenen Gedanken und Emotionen beim Sehen.
- Hilfestellung zur Differenzierung:
- Die folgenden Begriffe bieten Anhaltspunkte für die Analyse:
- Sichtbarkeit, Unsichtbarkeit, Wissen, Unwissen, Macht, Machtlosigkeit, Mitleid, Engagement, Tierwohl, Tierschutz, Nutztier, Haustier, Konsum, Verantwortung, Ernährung, Freiheit, Empörung, Betroffenheit, Verständnis…
III. Weiterführende Aufgaben
Die weitere Arbeit am Thema kann nun etwas enger oder offener geführt werden. Die folgenden Aufgaben können an die Lerngruppe angepasst kombiniert werden.
Offenes Aufgabenarrangement
- Entwickelt zunächst individuell eine Fragestellung, mit welcher ihr euch im Folgenden Gerne beschäftigten würdet.
- Stellt eure Fragestellung im Plenum vor und bildet euren Interessen entsprechend Gruppen.
- Formuliert in eurer Gruppe eine ethische Problemfrage.
Je nach Lerngruppe und Jahrgangsstufe können jetzt geeignete Wege der Erarbeitung und Präsentation gewählt werden.
Bildbetrachtung zum Verhältnis von Haustieren und Nutztieren
Pawel Kuczynski (siehe Link unter Medien)
- Interpretiert die Abbildung und setzt sie mit dem Experiment vom Gänseschlachten in der Öffentlichkeit in Beziehung.
Kreatives Schreiben
- Verfasst einen Text zum Thema „Was ich nicht weiß“
Alternativ kann auch die unter Medien angegebene Geschichte aus dem Buch „Oh ! noch mehr Geschichten für andere Zeiten“ adaptiert werden.
Umfrage
- Erstellt mithilfe der Erkenntnisse aus der Filmarbeit in Kleingruppen einen Fragebogen. (offene, halboffene, geschlossene Fragen)
- Befragt Menschen in eurer Umgebung (Schule, Familie, Freundeskreis, Öffentlichkeit…)
- Stellt die Ergebnisse eurer Umfrage in einer geeigneten Form der Klasse vor. (digitale Präsentationsmethoden denkbar)
- Führt in der Klasse eine Diskussion zu den Ergebnissen aller Befragungen durch.
Diskursanalyse
- Sichtet den Kommentarbereich des Clips auf YouTube. (Begrenzung auf einen Diskussionsstrang sinnvoll)
- Ordnet die Argumente in Pro und Contra und ermittelt die den Argumenten zugrundeliegenden Wertmaßstäbe. (Durch die Lehrkraft sollte dies ggf. an einem Beispiel deutlich gemacht werden)
- Verfasst (in Einzel- oder Partnerarbeit) einen eigenen Kommentar. (kann ggf. natürlich auch an entsprechender Stelle veröffentlicht werden)
Diese Arbeitsschritte könnten entweder durch den Erarbeitungsteil „Theologische und philosophische Deutungsschemata“ (siehe unten) unterbrochen oder im Anschluss an diesen nochmals wiederholt werden.
Podiumsdiskussion — Konsumethik
Fragestellung: Gibt es bei Konsumgütern ein Recht auf Nichtwissen oder gibt es eher eine Pflicht sich bei denkbaren Verstößen über die Produktionskette zu informieren.
- Lest die Fragestellung, teilt eure Rollen zu und arbeitet innerhalb der Gruppen an Argumenten und Strategien. Bedenkt dabei auch mögliche Gegenargumente der anderen Diskussionsparteien.
- Führt eine Podiumsdiskussion durch und wertet diese im Anschluss aus.
IV. Theologische und philosophische Deutungsschemata
Mehrere fachwissenschaftliche Anknüpfungspunkte sind hier denkbar:
- Albert Schweitzers verantwortungsethischer Ansatz der „Ehrfurcht vor dem Leben“
- Peter Singers erweiterter Personbegriff und die Implikationen für die Tierethik; siehe auch das Material der bpb (Link oben unter Medien)
- Auch für untere Klassen wäre ein schöpfungstheologischer Ansatz denkbar, welcher den Verzehr von allem, was „was sich regt und lebt“ (Gen 9,3) nach dem Verlust der Gottesnähe mit der Vertreibung aus dem Paradies und die am 6. Schöpfungstag durch Gott verfügte pflanzliche Ernährung (Gen 1,29−30) herausarbeitet und unter den Aspekten Gottesnähe, Paradies und Tierethik miteinander in Beziehung setzt.
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Tieren und Umwelt zuliebe,
Weg vom fleischlichen Triebe.
Statt Filet und Hühnerbrust
Hin zu fleischloser Lust.
Ein kleines Gedicht als Aufruf zum Tierschutz:
MENSCH UND TIER
Uns’re Tiere haben’s schwer,
Wir behandeln sie nicht fair.
Ein Mensch, wie stolz das klingt,
Der großes Leid den Tieren bringt.
Geflügelknast und Schweinemast
Sind Quälerei und Umweltlast.
Kükenschreddern ist das Wort
Für abscheulichen Massenmord.
Tiere als Versuchsobjekt,
Vor nichts wird zurückgeschreckt.
Der Killeraffe,
Der sich zur Tarnung Mensch nannte,
Ist zu allerlei Grausamkeiten imstande.
Die Mitgeschöpfe werden gering geachtet,
Aus purer Fleischeslust wird geschlachtet.
Tiere müssen sterben für sein Wohlergeh’n,
Die Superpotenz und knitterfreies Ausseh’n;
Für Elfenbein und Felle lassen sie ihr Leben.
Können sie Homo sapiens jemals vergeben?
Man fragt nicht nach der Tiere Befinden,
Profit zählt, das Tierwohl steht ganz hinten.
Bringen wir in ein dunkles Kapitel Licht,
Dem Tierschutz Gewicht, beim Fleische Verzicht!
Rainer Kirmse , Altenburg
Herzliche Grüße aus Thüringen