Bei den Worten Mandala und (Religions-)Unterricht denken wohl viele an einen eleganten Zeitvertreib, dessen Resultat bestenfalls noch eine Schulung der Konzentration ist. Dabei wird dem einen oder der anderen sicher auch die Aussage in den Sinn kommen: „Im Religionsunterricht malt ihr doch bloß Mandalas, oder?!“ Diese Verkürzung auf eine Konzentrationsübung oder eine Schmähung wird jedoch dem Sandmandala nach buddhistischer Tradition nicht annähernd gerecht. Die Beschäftigung mit dieser besonderen Form der Meditation ermöglicht vielmehr einen erkenntnisreichen Blick auf unser Verhältnis zum Festhalten und Loslassen und die menschliche Natur.
Neben der beeindruckenden Präzision und Ausdauer, welche durch die Zeitrafferaufnahmen nur annähernd erfahrbar werden, stellt die rituelle Zerstörung des kunstvollen Werks am Ende für viele Gemüter wohl eine unerwartete und beinahe verstörende Wendung dar. Man stelle sich vor, Michelangelo hätte nach Vollendung seines berühmten Freskos Jüngstes Gericht in der Sixtinischen Kapelle die Farbe von den Wänden gekratzt. Oder viel banaler, nachdem wir Stunden damit verbracht haben das perfekte Foto zu schießen und es zu bearbeiten, freuen wir uns über unseren Erfolg und löschen es sogleich. In unserer Kultur betreiben wir im privaten und öffentlichen Bereich, im Gegensatz zu diesen irrwitzigen Fantasien des Loslassens, einen immensen Aufwand, um Kunstwerke festzuhalten. Museen werden gebaut und Archive — analoge und digitale — werden angelegt.
Die Gestaltung von Sandmandalas als fortgeschrittene Meditationsform kann in gewisser Weise als Gegenentwurf dazu gesehen werden. Der Sand, welcher nach der Zerstörung des Mandalas anfällt, wird zeremoniell im Freien dem Wind oder fließendem Wasser übergeben. Dabei wird auch an die Vergänglichkeit aller Ordnung erinnert.
Anders als das Gebet, richtet sich diese Form der Versenkung auf die eigene Person und nicht an ein Gegenüber. Durch die Überwindung egoistischer Triebe (siehe „die drei Geistesgifte“ im Buddhismus), wie Gier, soll eine barmherzige Haltung gegenüber allen anderen Lebewesen entwickelt werden.
Kernkompetenz: Sich mit anderen religiösen Glaubensweisen und nicht-religiösen Weltanschauungen begründet auseinandersetzen, mit Kritik an Religion umgehen sowie die Berechtigung von Glaube aufzeigen.
Jahrgang: 8 – 12
Arbeitsformen: Experiment, Internetrecherche, Filmanalyse, Collage
Medien:
- Zeitraffer mit Zeremonie des Verstreuens am Ende: Link
- Zeitraffer mit Mantra-Gesang : Link
- Artikel zu Sandmandalas im Deutschlandfunk: Link
- Abbildung zum Mandala Buddha of Compassion: Link
Methodisches Vorgehen
Einstieg
Die Schülerinnen und Schüler könnten ganz klassisch zu Ihrem Vorwissen zu Mandalas befragt werden. Gerade, wenn Buddhismus oder Mönchtum als weitere Themen angedacht sind, könnte diese Vorgehen sinnvoll sein.
Daneben wäre eine Beschäftigung mit den Kernbegriffen Festhalten und Loslassen denkbar.
- Nenne jeweils drei Dinge, die du festhalten und loslassen möchtest und begründe deine Auswahl. (auch in Einzel- und Partnerarbeit mit anschließender Vorstellung im Plenum denkbar – Think-Pair-Share)
- Beschreibe Tätigkeiten, die das Festhalten und Loslassen unterstützen bzw. ermöglichen.
- Gestalte eine Text-/Bildcollage zu den Worten „Festhalten und Loslassen“.
Filmarbeit
Vermutlich wird die Zeremonie der Zerstörung des Mandalas nur wenigen Schülern bekannt sein. Es bietet sich daher an den Clip an entsprechender Stelle anzuhalten, um eine gestaffelte Analyse durchzuführen. Unter den Medien sind mehrere Zeitrafferaufnahmen als Link angegeben und es sollte geprüft werden, welches Video den Anforderungen und der gewünschten Ästhetik am ehesten entspricht.
A) Mögliche Aufgaben für den 1. Teil: Erschaffung des Sandmandalas
- Beschreibe deine Eindrücke und Gefühle beim Betrachten der Entstehung des Sandmandalas.
- Stell begründete Vermutungen darüber an, welche Eigenschaften man benötigt, um über viele Tage an der Fertigstellung eines derartigen Werkes zu arbeiten.
- Erkläre und begründe, wie du nach der Fertigstellung des Mandalas weiter vorgehen würdet.
- Setz dich mit der Frage auseinander, ob es etwas in deinem Leben gibt, in das du so viel Hingabe steckt oder gerne stecken würdest.
B) Mögliche Aufgaben für den 2. Teil: Zerstörung des Sandmandalas
- Beschreibe den Eindruck, welchen die Zerstörung des Sandmandalas durch die Mönche bei dir hinterlässt.
- Stell (mithilfe deines Wissens über das Mönchtum) einen Zusammenhang zwischen dem Mönchsein und dieser besonderen Meditationsform her.
- Stell begründete Vermutungen darüber an, welche Eigenschaften man benötigt, um ein so mühsam geschaffenes Werk zu zerstören.
- Recherchiert im Lehrbuch und im Internet zur Bedeutung von Mandalas im Buddhismus und erstellt ein Tafelbild, welches die Ergebnisse zusammenfassend darstellt. (Einzel‑, Partner- oder Gruppenarbeit)
Vertiefungsaufgabe
Die Sandmandala-Meditation ist für die Mönche ein Teil ihres Weges zur Erleuchtung. Sie kommen sich selbst näher und lernen von jenen inneren Trieben abzulassen, die Sie selbst und Ihr Umfeld negativ beeinträchtigen und eben ihrem höchsten Ziel, der Erleuchtung, im Wege stehen. Christlich und philosophisch-weltanschaulich lassen sich dem vermutlich am ehesten Erlösung bzw. Glück als höchste Ziele gegenüberstellen.
Gruppenarbeit:
- Diskutiert gemeinsam darüber, was für euch Glück oder Erlösung sein kann.
- Erörtert, welche Haltungen, Handlungen etc. dem im Wege stehen.
- Entwickelt gemeinsam eine Übung, welche euch dabei hilft, etwas loszulassen, was euch bei eurem höchsten Ziel im Wege ist.
- Erstellt eine erklärende Anleitung und eine Foto- oder Videodokumentation der Durchführung der Übung durch euch.
- Reflektiert individuell eure Erfahrung bei der Durchführung der Übung.
Dieses Aufgabensetting sollte je nach Altersstufe und Lerngruppe vor allem zu Beginn entsprechend begleitet werden. Womöglich werden Kinder und Jugendliche mitunter Ziele formulieren, die nicht ganz den Erwartungen der Lehrkraft entsprechend. Es sollte jedoch unterlassen werden bestimmte Wünsche, wie reich und berühmt zu werden, abzutun oder zu stigmatisieren. Durch geschicktes Nachfragen und Impulsgeben kann in Erfahrung gebracht werden, warum und wozu man etwa gerne reich und berühmt wäre, so dass den zugrundeliegenden menschlichen Bedürfnissen nachgespürt werden kann. Wenn dann am Ende Sicherheit, Selbstbewusstsein, Aufmerksamkeit, Wertschätzung, Liebe, Partnerschaft etc. als Grundbedürfnisse ausgemacht sind, lassen sich die nachfolgenden Schritte zielführender angehen.
Inhaltliche Verknüpfung und theologische Deutung zum Weiterarbeiten
- Vergleich mit dem christlichen Mönchtum
- Deutung des Ich-bin-Wortes Jesu: Joh14,6: Ich bin der Weg…
- Festhalten als Gier (eines der drei buddhistischen Geistesgifte) und das kapitalistische Wirtschaftssystem; hervorragende Doku, die verschiedene Sichtweisen auf Gier, u.a. die buddhistische Perspektive zeigt: Link
- „Der Weg ist das Ziel“: Welche Vorsätze sind gut für uns? Monster des Alltags: Der gute Vorsatz: Link; Ist es möglich sich Wege vorzunehmen? Und was ändert sich dann?
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2 Gedanken zu „Mandala — Anleitung zum Loslassen“