Die Pest — Gegen die Schöpfung ankämpfen

In einer Stadt an der alge­ri­schen Küs­te kom­men die Rat­ten auf die Stra­ßen und ver­en­den. Ein­zel­ne Men­schen ster­ben. Die Her­kunft des Fie­bers ist unbe­kannt. Doch dann wird klar, dass die Pest aus­ge­bro­chen ist. Die Behör­den rie­geln die Stadt von der Außen­welt ab. Ver­ge­bens. Die Seu­che fin­det ihre Opfer: Jung und Alt, Arm und Reich, durch alle sozia­len Grup­pen und Welt­an­schau­un­gen hin­durch. Doch ange­sichts größ­ter Bedro­hung und unab­wend­ba­ren Unglücks tritt auch die Bedeu­tung von Gemein­schaft und Soli­da­ri­tät ans Licht und mit ihr zei­gen sich die Men­schen wie sie immer schon waren: selbst­los, fata­lis­tisch, gie­rig, dumm …

Albert Camus Roman erschien 1947. Er zählt heu­te zu den Klas­si­kern der Welt­li­te­ra­tur. Die bio­gra­fi­schen Erfah­run­gen Camus aus dem Wider­stand gegen die deut­sche Wehr­macht im besetz­ten Frank­reich spie­geln sich in der Abrie­ge­lung der Stadt, der Auf­lö­sung von Gemein­schaft, der Poli­ti­sie­rung des All­tags und dem Neu­fin­den oder Wie­der­ent­de­cken von Indi­vi­dua­li­tät, Soli­da­ri­tät, Ver­ant­wor­tung und Wür­de. Klar, dass auch die Kir­che und „die Sache mit Gott” an der Situa­ti­on nicht vorbeikommt.

In unse­ren Tagen der Pan­de­mie im Früh­jahr 2020 wird der Roman zum Augen­öff­ner. Für ein Ver­ständ­nis braucht es nicht län­ger die deut­sche Besat­zung und die Erfah­run­gen aus der Résis­tance. Ein­zel­ne Sät­ze oder Pas­sa­gen könn­ten einem Gespräch unter Freu­den oder Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen von März oder April 2020 ent­stam­men. Der Gedan­ke drängt sich auf , dass der Roman für das 21. Jh. geschrie­ben wor­den ist. Gleich­zei­tig ist deut­lich: Die Abrie­ge­lung im Roman ist nicht ver­gleich­bar mit den gegen­wär­ti­gen Tren­nun­gen. Das Inter­net ist nicht iden­tisch mit dem öffent­li­chen Fern­spre­cher oder dem Tele­fax. Iso­la­ti­on ist nicht das ame­rik­an­si­sche Lock­down oder das euro­päi­sche Shutdown.

Und auch heu­te ist klar: Kir­chen, Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten und „die Sache mit Gott” müs­sen und wer­den neu befragt wer­den: Hilft Beten? Hört da einer? Erset­zen oder ergän­zen You­Tube-Vide­os die Idee vom Auf­bruch zu Ostern? Kann eine Mahl­ge­mein­schaft in einer vir­tu­el­len Welt Wirk­mäch­tig­keit ent­fal­ten, Trost spen­den, Ein­sam­keit lin­dern, Soli­da­ri­tät erzeu­gen? Schafft sie den Absprung in vir­tu­el­le Wel­ten und kann mit ihrer Hil­fe Demut und Respekt gegen­über der Schöp­fung neu gefun­den wer­den? Oder sind die alten athe­is­ti­schen Über­zeu­gun­gen doch die bes­se­ren Antworten?

Der Roman bie­tet eine Viel­falt anthro­po­lo­gi­scher Fra­gen und ethi­scher Impli­ka­tio­nen. Hier zei­gen sich Viel­falt und Offen­heit reli­giö­sen und welt­an­schau­li­chen Fra­gen und Nachdenken.

Kern­kom­pe­tenz: Reli­giö­se Grund­ideen erläu­tern und als Grund­wer­te in gesell­schaft­li­chen Kon­flik­ten zur Gel­tung bringen 

Jahr­gang: 9. – 12. Jahrgangsstufe 

Arbeits­for­men: Ganz­schrift­lek­tü­re, Lern­ta­ge­buch, Tele­fon­in­ter­view, Online-Umfragen 

Hin­ter­grund­in­for­ma­tio­nen:
Zur Schnell­ein­wahl in den Roman -> https://​de​.wiki​pe​dia​.org/​w​i​k​i​/​D​i​e​_​P​est

Die Per­so­nen und ihre Posi­tio­nen -> https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Pest#Personenkonstellationen:_PEST_%E2%86%92_Absurdit%C3%A4t

Wei­ter­füh­ren­de Infor­ma­tio­nen und Reflexionen:
Pan­de­mie als Glau­bens­text -> https://​de​.catho​lic​news​a​gen​cy​.com/​a​r​t​i​c​l​e​/​c​o​r​o​n​a​-​p​a​n​d​e​m​i​e​-​a​l​s​-​g​l​a​u​b​e​n​s​t​e​s​t​-​0​846

Auf dem Weg in die Tie­fe von Tomáš Halík -> https://​www​.zeit​.de/​2​0​2​0​/​1​5​/​k​i​r​c​h​e​-​g​o​t​t​e​s​d​i​e​n​s​t​e​-​c​o​r​o​n​a​v​i​r​u​s​-​g​ott

Virus der Ein­sam­keit von Petra Bahr -> https://​www​.zeit​.de/​2​0​2​0​/​1​3​/​c​o​r​o​n​a​v​i​r​u​s​-​n​a​e​c​h​s​t​e​n​l​i​e​b​e​-​e​i​n​s​a​m​k​e​i​t​-​a​u​s​n​a​h​m​e​z​u​s​t​a​n​d​-​z​u​s​a​m​m​e​n​h​alt

Ideen für eine Ganz­schrift­lek­tü­re -> https://​www​.beltz​.de/​f​i​l​e​a​d​m​i​n​/​b​e​l​t​z​/​a​k​t​u​e​l​l​e​s​/​M​e​t​h​o​d​e​n​_​n​a​c​h​_​d​e​n​_​B​i​l​d​u​n​g​s​s​t​a​n​d​a​r​d​s​.​pdf

Camus Pest mit dem Religionskurs in der Oberstufe lesen

Ein Reli­gi­ons­un­ter­richt, der nicht nur sprach­li­che, lite­ra­ri­sche und reli­gi­ons­kund­li­che Zie­le ver­folgt, son­dern auch reli­giö­se und wer­te­ori­en­tie­ren­de Hal­tun­gen sei­ner Schü­le­rin­nen und Schü­ler in den Blick nimmt, muss die Erfah­run­gen der Kin­der- und Jugend­li­chen auf­neh­men, erst recht aus die­sen Zeiten.

Er muss sie ins Gespräch und in die Aus­ein­an­der­set­zung mit ande­ren Gene­ra­tio­nen, Erfah­run­gen und welt­an­schau­li­chen Rück­schlüs­sen brin­gen. Camus „Pest” bie­tet eine Opti­on. (Ich den­ke an „Die Lie­be in den Zei­ten der Cho­le­ra” von Gabri­el Gar­cía Már­quez oder Her­mann Hes­ses „Nar­ziss und Goldmund”.)

Daher gilt es, den Unter­richt und das Lese­er­leb­nis „öffend” zu gestal­ten und nicht „bestim­mend, fest­le­gend, schlie­ßend”. Die Lek­tü­re gilt folg­lich als Impuls­ge­ber für die Fra­gen der Schü­le­rin­nen und Schü­ler. Die Fra­gen der Figu­ren als Bit­te um Ant­wor­ten, die erst noch gefun­den und for­mu­liert wer­den müs­sen. Es geht um indi­vi­du­el­le Deu­tun­gen und Inter­pre­ta­tio­nen. Und es geht um das gemein­schaft­li­chen Lektüreerlebnis.

Leit­li­ni­en für eine gemein­schaft­li­che Lektüre

Las­sen Sie die spann­den­den oder rele­van­ten Pas­sa­gen fin­den und mit Fra­gen und Deu­tungs­op­tio­nen durchsetzen.
Ver­bin­den Sie ana­ly­ti­sche und hand­lungsor­oen­tie­ren­de Ver­fah­ren und Zugänge.Lassen Sie indi­vi­du­el­le Inter­pre­ta­ti­ons­an­sät­ze der Schü­le­rin­nen und Schü­ler zu. Hal­ten Sie eige­ne Ideen und Bekennt­nis­se nicht zurück. Las­sen Sie beim der Heim­lek­tü­re den Umfang eher gering aus­fal­len, räu­men sie Stil­le-Pha­sen für den Prä­senz-Unter­richt ein. Lesen sie vor, auch über Sound​clud​.com oder You­Tube. Nut­zen Sie kol­la­bo­ra­ti­ve Werk­zeu­ge zum gemein­sa­men Erstel­len eines Lese­ta­ge­bu­ches oder einen Chat für die schrift­li­che Dis­kus­si­on.

… in denen uns klar wurde, dass keine Züge ankamen

  1. Notie­re die Pas­sa­gen aus Camus Text, die Dir beson­ders ein­drück­lich waren, in einem Lerntagebuch.
  2. Tau­sche Dich in einem Tele­fon­in­ter­view über Dei­ne Erfah­rungs­hin­ter­grün­de aus.
  3. Hal­te schrift­lich fest, was Dei­nen Gesprächs­part­nern wich­tig war und wie sie zu die­sen ein­drü­cken kamen.
  4. Erstellt für Lern­grup­pe ein gemein­sa­mes Doku­ment, in dem ihr exis­ten­ti­el­len mensch­li­chen Fra­gen fest­hal­tet, die Camus in sei­nem Text formuliert.
    Ergänzt sie um eure Fra­gen, die sich aus den Erfah­run­gen der letz­ten Tagen und Wochen erge­ben haben.

… ihr habt es verdient

  1. Gib die Haupt­ge­dan­ken der Pre­digt mit eige­nen Wor­ten wieder.
  2. Bestim­me Grund­li­ni­en des Got­tes­bil­des und was dar­in über die Men­schen aus­ge­sagt wird. Hal­te die Über­le­gun­gen im gemein­sa­men Doku­ment fest.
  3. Dis­ku­tiert im Grup­pen­chat, ob die Pre­digt Paneloux’ auch als eine Pre­digt für die zeit von Coro­na gehört wer­den kann.
  4. For­mu­lie­re eine Ant­wort an den Jesuitenpater.

… zu lange in Spitälern gelebt, um den Gedanken einer Kollektivstrafe zu ertragen

  1. Gib das Gespräch zwi­schen Tar­rou und Dr. Rieux mit eige­nen Wor­ten wieder.
  2. Beur­tei­le die Ablei­tun­gen für sein Gottesbild.
  3. In der Wiki­pe­dia heißt es, dass Dr. Rieux Athe­ist sei. Klärt im Tele­fon­in­ter­view, inwie­fern die­se Ein­ord­nung zutref­fend ist.
  4. Klärt mit­hil­fe einer Umfra­ge (kahoot​.com oder men​ti​me​ter​.com) und einem gemein­sa­men Doku­ment, wie „reli­gi­ons­hal­tig” die „athe­is­ti­schen” Posi­tio­nen des Arz­tes sind.

Viren und Virologie als Triebkräft der Evolution

Sehen sie”, sag­te Tar­rou, „War­um zei­gen Sie sich so vol­ler Auf­op­fe­rung und Hin­ga­be, wenn Sie doch nicht an Gott glau­ben? Ihre Ant­wort wird mir viel­leicht hel­fen, mei­ner­seits Ihre Fra­ge zu beantworten.”
Ohne aus dem Dun­kel her­vor­zu­tre­ten sag­te der Arzt, dass er dar­auf schon geant­wor­tet habe. Wenn er an einen all­mäch­ti­gen Gott glau­ben wür­de, müss­te er die Sor­ge dafür allein die­sem Gott über­las­sen. Aber an einen sol­chen Gott glaubt kein Mensch auf der Erde, nein, nicht ein­mal Paneloux. Der meint, dar­an glau­ben zu müs­sen, denn nie­mand will sich wirk­lich voll­kom­men auf­ge­ben oder aus­lie­fern. Und hier­in wenigs­tens glau­be er, Rieux,’ sich auf dem Wege zur Wahr­heit, wenn er gegen die Schöp­fung, so wie sie nun ein­mal sei, ankämpfe.
Albert Camus, Die Pest

  1. For­mu­lie­re Leit­li­ni­en für das Berufs­ethos des Arz­tes mit eige­nen Worten.
  2. Recher­chie­re unter https://​www​.scin​exx​.de/​n​e​w​s​/​m​e​d​i​z​i​n​/​v​i​r​e​n​-​a​l​s​-​t​r​i​e​b​k​r​a​e​f​t​e​-​u​n​s​e​r​e​r​-​e​v​o​l​u​t​i​on/ die Bedeu­tung von Viren für evo­lu­tio­nä­re Entwicklungen.
    Hal­te wesent­li­che Erkennt­nis­se im Lern­log­buch fest.
  3. Klärt das Ver­hält­nis zwi­schen Muta­tio­nen von Viren, den Bemü­hun­gen der Viro­lo­gie und dem bibli­schen Schöp­fungs­ge­dan­ken (Gen 1,1 — 2,4a). Nutzt dazu eine kol­lo­bo­ra­ti­ve Mind­map oder eine gemein­sam ent­wi­ckel­te Sketchnote.
  4. Kann man ange­sichts mög­li­cher Dilem­ma­ta noch an Gott glau­ben? Was glaubst Du?

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Andreas Ziemer
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