Und morgen geht es wieder los

In den kom­men­den Wochen wird das Leben in die Schu­len zurück­keh­ren, lang­sam und schritt­wei­se, sicher in unge­wöhn­li­chen For­men oder in noch völ­lig unbe­kann­ten Wei­sen. Aber es kommt zurück. Und wenn das Leben in die Schu­le zurück­kehrt, dann kommt es auch in den Unter­richt zurück, auch in den Reli­gi­ons­un­ter­richt. Mor­gen geht es wie­der los.

Wie wird das sein, die­se ers­te Stun­de nach dem Shut­down? Wie wird man sich begeg­nen, wie sich anse­hen, was wird man sagen? Wird das ganz zwang­los? Kann man ein­fach an der letz­ten Stun­de anknüp­fen und zum Tages­ge­schäft über­ge­hen? Oder muss man doch nach den Erfah­run­gen die­ser Zeit fahn­den, ein Gesprächs­an­ge­bot bie­ten, sich bewusst erin­nern oder die Erin­ne­run­gen bewusst insze­nie­ren? Oder sind in die­ser Zeit Din­ge pas­siert, die ich nicht anrüh­ren möch­te, weil ich nicht weiß, wie ich damit umge­hen soll? Mor­gen geht es wie­der los.

Mir selbst ist ja so viel pas­siert in den letz­ten Tagen und Wochen. Ich habe mit vie­len Men­schen gespro­chen, am Tele­fon und über den Rech­ner, habe Mails gele­sen, gechat­tet, Diens­te abon­niert. Da waren so vie­le Gedan­ken und Ideen bei mir, eini­ge davon habe ich umge­setzt, die meis­ten sind wie­der ver­ges­sen. Ach ja, und da war das Oster­fest, das auf mich in die­ser befremd­li­chen Art doch mehr berüht hat als in vie­len Jah­ren zuvor. Die­ses „Ein­ge­sperrt sein”, das dar­auf war­tet befreit zu wer­den, wie­der leben­dig zu wer­den, dar­auf zu war­ten, dass end­lich wie­der Frie­den wer­de. Mor­gen geht es wie­der los.

Vor­ab kann ich mir das alles nur schwer vor­stel­len. Ich sehe die unter­schied­lichs­ten Schü­le­rin­nen und Schü­ler, erle­be mich in ver­schie­de­nen Unter­richts­räu­men, durch­den­ke alle mög­li­chen Sze­na­ri­en und kom­me zur Ein­sicht, dass ich eigent­lich nicht pla­nen kann, aber auch nicht unvor­be­rei­tet kom­men will. Für die­ses Sze­na­rio, für die­se ers­ten Begeg­nun­gen möch­te ich mich vor­be­rei­ten, damit ich nicht hilf­los bin. Hier kommt mein Pla­nungs­ent­wurf, zwi­schen Nähe und Distanz, für Gemein­schaft in Prä­senz. Mor­gen geht es wie­der los.

Phase 1: Im Vorfeld befragen

Auf Twit­ter habe ich die­sen inter­es­san­ten Bei­trag gefun­den: Nicht anneh­men, dass wir als Leh­re­rin­nen und Leh­rer immer schon wis­sen, was unse­re Schü­le­rin­nen und Schü­ler brau­chen, son­dern sie dar­auf­hin befra­gen und mit ihnen gemein­sam den Neu­start gestalten.

Phase 2: Sich selbst annähern

Wenn ich mich selbst befra­ge, ant­wor­te ich so: Es gab All­tag vor dem Shut­down und es gibt jetzt All­tag im Shut­down. Und der All­tag danach wird sich ein­stel­len und fin­den. Alle Erin­ne­run­gen, also das, was sich auf das Jetzt und Heu­te und Hier bezieht, zu strei­chen, wäre Quatsch. Es gibt Men­schen, Wör­ter, Begeg­nun­gen, Gedan­ken und Erfah­run­gen, die mich berüh­ren, die mir wich­tig sind, die mir etwas bedeu­ten. Und die ste­hen in einem Zusam­men­hang. Das ist so etwas wie ein roter Faden, der das Davor und das Danach ver­bin­det und sich durch die Zeit des Shut­down win­det. Ich weiß noch nicht genau, was das ist und wel­chen Namen ich der Sache geben wer­de. Aber ich möch­te dar­über nach­den­ken und mit ande­ren dar­über sprechen.

Phase 3: Mein Gestaltungsform finden

Seit eini­ger Zeit ver­su­che ich mich an unter­schied­li­chen Gestal­tungs­for­men zur Unter­stüt­zung von theo­lo­gi­sie­ren­den Gesprä­chen und beim bibli­schen Erzäh­len. Ich ken­ne das aus den Arbei­ten im Ele­men­tar­be­reich und den Grund­schu­len. In den wei­ter­füh­ren­den Schu­len ist mir das bis­her sel­ten begeg­net. Ich habe jetzt Erfah­run­gen in der Sek I und II der all­ge­mein­bil­den­den Schu­len und der Berufs­bil­dung. Die Ergeb­nis­se waren von unter­schied­li­cher Qua­li­tät, aber nie unan­ge­mes­sen. Es hat eher zu mehr Tie­fe im Gespräch und in der Aus­ein­an­der­set­zung geführt.

Ich suche also eine Form, in der alle Teil­neh­men­den gleich­be­rech­tigt spre­chen kön­nen, jede und jeder gese­hen und gehört wird, eine für alle glei­cher­na­ßen zu errei­chen­de Prä­sen­ta­ti­ons­flä­che gebo­ten wird und Inter­ak­tio­nen der Teil­neh­men­den mög­lich sind. Ich ent­schei­de mich für ein Kreis­ge­spräch, ohne Stüh­le, auf dem Boden. Wenn Sicher­heits­ab­stän­de ein­ge­hal­ten wer­den müs­sen, kann ein­zeln an das run­de Tuch her­an­ge­tre­ten wer­den. Dann kann das run­de Tuch auch auf meh­re­ren zusam­men­ge­scho­be­nen Tischen lie­gen. Wenn kein run­des Tuch vor­han­den ist, schlägt man die Ecken so ein, dass eine qua­si run­de Form entsteht.

Phase 4: Gestaltung

Phase 4.1: Gestaltung — Davor

In der Mit­te des Tuches wird eine Ker­ze auf­ge­stellt, ent­zün­det und gedeu­tet: Das Licht des Lebens, das uns leuch­tet, die Nähe Got­tes, die uns wärmt. Alle Kin­der oder Jugend­li­chen bekom­men ein qua­dra­ti­sches Tuch oder eine Ser­vi­et­te für die Zeit Vor dem Shutdown.

Um die Erin­ne­rung an das Davor zu erleich­tern, for­mu­lie­re ich Impulse:

Das letz­te Mal

In die Schu­le gehen …
Eis essen …
Im Schwimm­bad sein …
Durch den Media­markt schlendern …
Fuß­ball spielen …
Sich drau­ßen mit Freun­den treffen …
Am Meer sein …

Mit mög­lichst abs­trak­ten und viel­fäl­ti­gen Lege­ma­te­ria­len (z.B. Stei­ne, Per­len, Holz­stäb­chen, Glas­mur­meln, Filz­tü­chern, Muscheln, Zap­fen, Holz­schei­ben) gestal­ten die Teil­neh­men­den ihre Erin­ne­rung. Als Hil­fe­stel­lung kann auch die­se Gefühls- und Bedürf­nis­lis­te ver­wen­det wer­den. In einer Erzähl­run­de wird die Gestal­tung erläu­tert oder von einer bewe­gen­den Erin­ne­rung aus dem Davor gesprochen.

Phase 4.2: Gestaltung — Jetzt

Die Kin­der oder Jugend­li­chen bekom­men ein wei­te­res qua­dra­ti­sches Tuch oder eine Ser­vi­et­te für das Jetzt (eben kein Danach, weil mir klar­ge­wor­den ist, dass es ein Danach in die­sen Tagen noch nicht gibt). Für die Ver­ge­gen­wär­ti­gung for­mu­lie­re ich:

Jetzt

in die Schu­le gehen …
Eis essen …
Im Schwimm­bad sein …
Durch den Media­markt schlendern …
Fuß­ball spielen …
Sich drau­ßen mit Freun­den treffen …
Am Meer sein …

Die Teil­neh­men­den gestal­ten ihre Wahr­neh­mun­gen, Asso­zia­tio­nen, Bedürf­nis­se und Gefüh­le. Als Hil­fe­stel­lung dient erneut die Gefühls- und Bedürf­nis­lis­te. In der Erzähl­run­de wird die eige­ne Gestal­tung erläu­tert oder von einer bewe­gen­den Begeg­nung aus dem Jetzt erzählt. Im Ver­gleich las­sen sich neue Per­spek­ti­ven, Bedeu­tun­gen, Wert­schät­zun­gen und Hal­tun­gen fin­den und viel­leicht auch so für sich oder die Grup­pe formulieren.

Phase 4.3: Gestaltung — Ein verbindendes Band oder Seil

Alle Kin­der und Jugend­li­chen bekom­men ein Band, eine Schnur oder einen Faden. Von der Mit­te aus wer­den das Davor und das Jetzt ver­bun­den. Für eine offe­ne Deu­tung for­mu­lie­re ich …

Ich ent­de­cke, was sich in mei­nem Leben zum Guten ver­än­dert hat …
Ich stau­ne dar­über, was mir wich­tig ist und von dem ich gar nicht wuss­te, dass es da ist …
Ich bin dank­bar für die­ses Begeg­nung, die­ses Wort, die­se Erfahrung …
Ich bit­te, dass mir die­ser Gedan­ke, die­ses inne­re Bild, die­ser Augen­blick aus die­ses Tagen, nicht ver­lo­ren geht …

Die Teil­neh­men­den legen ihre Bän­der von der Mit­te zu ihren Tüchern/​Servietten. Sie tau­schen sich dar­über aus.

Phase 5: Gestalt

Ich möch­te das Bild ergän­zen mit einer Erfah­rung und Erin­ne­rung der ers­ten Chris­ten. Im Johan­nes­evan­ge­li­um ist sie festgehalten.

Der Oster­tag ging zuen­de. Die Däm­me­rung brach an. Die Jün­ge­rin­nen und Jün­ger waren zusammen.
Tuch 1: Die Türen waren ver­schlos­sen. Die Furcht vor Ver­fol­gung zwang sie in den Lockdown.
Tuch 2: Da spür­ten sie Jesus mit­ten unter sich: „Frie­de soll hier sein!” Sie sahen sei­ne Wun­den und Verletzungen.
Ver­bin­de­nes Band vom Licht zu den Tüchern: Sie erin­ner­ten sich. Da wur­den sie froh. Da war Frieden.
Frie­de sei auch mit uns.

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Andreas Ziemer
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